Sicherheit in Raum . Zeit . Körper

Orientierung + Grounding . Selbstregulation

Die erste Reaktion auf das Auslösen eines Triggers ist oft der Wunsch nach Ruhe, eine Herausforderung, wenn wir uns nicht räumlich und zeitlich orientieren können. Unser Gehirn reagiert mit Erstarrung auf reaktivierte Signale aus der Vergangenheit. Wir finden Ruhe, wenn wir erkennen, dass wir unsere neurozeptive Wahrnehmung in Richtung Sicherheit verändern können.

 

Die Polyvagal-Theorie bietet wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse darüber, wie man sich ausreichend sicher fühlt, um sich in das Leben zu verlieben und sich auf dessen vielfältigen Risiken einzulassen.

Dana 2001, S.15

Sicherheit neurowissenschaftlich betrachtet

Stephen W. Porges, der Begründer der Polyvagal-Theorie, erforschte in den 1990er Jahren, dass neurobiologische Prozesse maßgeblich das menschliche Verhalten beeinflussen. Er entdeckte eine neuronale Verbindung zwischen dem autonomen Nervensystem und dem ventralen Vagusnerv, die für das Sicherheitsempfinden, affektives Erleben, emotionalen Ausdruck, stimmliche Kommunikation und situationsgerechtes Verhalten verantwortlich ist.

Die beiden vagalen Leitbahnen im autonomen Nervensystem bilden einen neuronalen Schaltkreis, der an der Regulierung der Herzfrequenz beteiligt ist. Ihre Verzweigungen schaffen eine Verbindung zwischen dem Herzen und dem Gesicht. Durch diese Kommunikationskanäle signalisieren wir anderen, was in unserem Körper vor sich geht und wie wir uns fühlen.

Ob und inwieweit ein Mensch fähig ist, soziale Interaktionen zu pflegen, Gefühle auszudrücken und seiner Stimme Ausdruck zu verleihen, ist eine komplexe Frage. Autonome Zustände des Nervensystems und die Neurozeption, das innere Überwachungsprogramm, scannen jede Sekunde unsere Umgebung nach potenziellen Gefahren ab.

Wenn wir das Nervensystem zu unserem Verbündeten machen und seine Funktionsweise verstehen, können wir eine höhere Selbstregulation erreichen. Dies führt zu einem gesteigerten Sicherheitsempfinden, das für soziale Bindungen und Verbundenheit unerlässlich ist. In diesem Kontext kann das autonome Nervensystem auch als soziales Nervensystem betrachtet werden.

Die Achtsamkeit des autonome Nervensystem

Das autonome Nervensystem, gesteuert vom Stammhirn, ist für unser Überleben verantwortlich. Es beinhaltet den Parasympathikus, der für Ruhe und Entspannung steht, sowie den Sympathikus, der Energie, Kampf-Flucht-Modus und Mobilisation reguliert. Der Parasympathikus untergliedert sich weiter in den dorsalen Vagus, der Immobilität bewirkt, und den ventralen Vagus, der soziale Bindung, Verbundenheit und Interaktion fördert.

Während Stress und Gefahr die Aktivierung des Sympathikus bewirken, um uns mit Energie für Leistung oder Überleben zu versorgen, tritt in entspannten Zuständen der ventrale oder dorsale Vagus in Aktion. Der ventrale Vagus ermöglicht es uns, sozial zu interagieren, Familie und Freunde zu treffen, soziale Bindungen zu knüpfen und zu pflegen – wir fühlen Empathie und sind in der Lage, andere zu co-regulieren.

Das Tor des Mitgefühls - der ventrale Vagus

Der Vagusnerv ist der größte Hirnnerv. Der ventrale Vagusnerv ist unser Wohlfühlmodus, metaphorisch unser Heimathafen dort wo wir unseren Anker auswerfen. Zeitlebens streben wir danach, uns in diesem Zustand zu verankern. Können wir unseren Anker aus verschiedenen Gründen nicht in einem Heimathafen auswerfen, so geraten wir gemeinsam mit unserem autonomen Nervensystem in Dysbalance, wir fühlen uns unwohl, eingeschränkt und nicht ausgeglichen. Es kann sein das wir im sympathischen Zustand oder im Erstarrungszustand des dorsalen Vagus verweilen.

Autonome Dysregulation infolge traumatischer Ereignisse

Durch das Erleben eines traumatischen Ereignisses verbringen wir einen Großteil unseres Alltags auf der Suche nach Sicherheit (ventraler Vagus). Unser autonomes Nervensystem ist dysreguliert, sodass wir uns in keinem autonomen Zustand wirklich sicher fühlen können. Womöglich erreichen wir im Sympathikus in Gefahr einen für uns subjektiv als einigermaßen sicher empfundenen Zustand, da wir aufmerksam in Bezug auf mögliche Gefahren sind und uns dort verankern.

Wenn der Sympathikus jedoch chronisch gestresst wird, bleibt der ventrale Vagus blockiert, was soziale Nähe und Verbundenheit verhindert. Aktiviert der Körper unter Stress den Sympathikus und stellt Kampf-oder-Flucht-Energie bereit, deaktiviert sich der ventrale Vagus. Beide autonome Zustände können nicht gleichzeitig aktiv sein. Traumaerfahrungen führen dazu, dass wir den dorsalen Vagus (in Sicherheit + Lebensgefahr) nur mit Lebensgefahr assoziieren, aufgrund der Erstarrungsreaktion als letzten Ausweg, wodurch eine Tiefenentspannung (Immobilität ohne Angst) unmöglich wird.

Wir können nicht entspannt schlafen, weil wir den dorsalen Vagus nicht als sicher empfinden – die Angst vor einer erneuten Erstarrung oder Retraumatisierung ist zu groß. Dieser Nervenzweig, der für die Erstarrung verantwortlich ist, ist eng mit Immobilität und intensiver Angst verbunden. So verharren wir in einem Zustand der Übererregung des Sympathikus, was unsere Lebensqualität beeinträchtigt. Dies kann zu Schlafstörungen, sexuellen Dysfunktionen, Verdauungsproblemen, Komplikationen bei der Geburt, Schwierigkeiten beim Stillen und Entspannungsproblemen führen.

Kinder, die chronisch in einem übererregten Zustand des Sympathikus verharren, haben häufig Probleme beim freien Spiel mit anderen Kindern. Sie finden es schwierig, den Zwischenzustand zwischen dem ventralen Vagus, der für soziales Spielen erforderlich ist, und dem aktivierten Sympathikus aufrechtzuerhalten. Oft neigen sie dazu, das Spiel nach kurzer Zeit abzubrechen oder sich gar nicht erst auf das gemeinsame Spielen einzulassen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ein Trauma die soziale Verbundenheit unterbricht und dadurch verschiedene soziale Probleme verursacht. Für die Integration des Traumas ist es daher entscheidend, sich wieder im ventralen Vagus zu verankern, um Verbundenheit und sozialen Austausch zu ermöglichen und erneut Bindungen zu anderen aufzubauen.

Vielen Dank . . . .

Dana, Deb . Der Vagus-Nerv als innerer Anker . Angst und Panik überwinden . Ruhe und Stärke finden . Kösel-Verlag . München 2021

Porges, Stephen W. . Die Polyvagal-Theorie . Neurophysiologische Grundlagen der Therapie . Jungfermann-Verlag, Paderborn


Orientierung & Grounding

Achtsamkeit .  Selbstregulation . Standardübungen

Ein traumatisches Ereignis, besonders in der Kindheit prägt oft, wie wir unseren Alltag als Erwachsene gestalten.

Grounding bedeutet, vollständig gegenwärtig zu sein und bewusst mit uns selbst sowie unserer Umgebung in Verbindung zu stehen. Dies kann auf verschiedenen ressourcenorientierten Ebenen erreicht werden.   

Zeit

Nutzt nur das, was für euch persönlich von Bedeutung ist und euch insbesondere daran erinnert, dass ihr erwachsen seid und wie viel Zeit seitdem vergangen ist.

  • das aktuelle Jahr + wer Präsident ist
  • das Datum + die Terme von heute
  • euer Alter + die letzte Feier eures Geburtstags
  • wann ihr als letztes gegessen habt + was das war
  • alle Jobs, die ihr jemals gearbeitet habt
  • wie lange ist euer Schulabschluss her
  • wie viel Zeit ist seit dem letzten Trauma vergangen
  • das Alter euer Kinder + wie alt wart ihr
  • wie lange noch bis zur Rente
  • wie oft ihr schon seit der Ausbildung umgezogen seit

Timeline

Eine bildliche Vorstellung von bereits vergangenen Zeit kann je nach Trauma-Wert unterstützend sein. .

     
  Intervention  
  Wir stellen uns einen zentralen Raum mit einer großen Uhr vor, die uns immer an die aktuelle Zeit erinnert. Zur linken Seite gibt es einen Flur mit Bildern aus unserem Leben, in umgekehrter Reihenfolge, im Abstand von einem Meter für jeden Monat, zurück bis zur Geburt. Es ist ein langer Flur.  
     

Steckt jemand in seiner inneren Zeit fest und war noch nicht mit Heute im Kontakt, treffen wir sie wo auch immer im Gang an und begleiten sie bis in den Uhrenraum. Sie sehen das viel passiert ist und das (mehr) Zeit vergangen ist.

Hat jemand während dieser orientierten Zeit einen Flashback, reichen wir eine hüpfende Kiste um die Erinnerung darin zu verpacken und lassen dann die Kiste den Gang gedanklich herunterhüpfen, bis dahin, wo es passiert ist, während wir im Uhrenraum stehen und zusehen, wie weit die Kiste hüpfen muss + wie viele Meter das in Monaten/Jahren mindestens sind.

Um auszurechnen wie viel Zeit vergangen ist, wenn wir dysreguliert sind oder Flashbacks haben, dann es schnell mit den Fingern, auch mit kleinen Gegenständen die in ein Behältnis gelegt oder gestapelt werden können.

     
   Intervention  
  Wir setzen einen Punkt im Raum oder draußen für das traumatische Ereignis und gehen mit großen Schritten für jedes Jahr oder kleinen Schritten für jeden Monat, falls es noch nicht lange her sein sollte, die seither vergangen sind. Sind wir bei unserem jetzigen Alter angekommen, können wir zurück blicken und die Entfernung sehen. Das Trauma ist weit weg.  
     
     
  Freudetagebuch   
  Für jeden Tag der ohne das Trauma verlaufen ist, suchen wir einen Sticker* aus, der diesen Tag in unserem Freudetagebuch markiert. Beim Durchblättern sehen wir (besonders Kinder die sich das nicht vorstellen können), wie viele Sticker es schon gibt und erkennen wie lange schon nichts passiert ist.  
     

*Alternativ könnt ihr Symbole oder kleine Bilder malen, Stempeln oder den Tag farblich markieren

Raum

Körper

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